KI oder CATI? Für globale Studien bleibt das Telefon erste Wahl!

AMRs Key Account Manager APAC: Satish Thalla
Düsseldorf, 19.04.2023

Das Interview mit Dr. Satish Thalla wurde zuerst auf marktforschung.de publiziert.

Dr. Satish Thalla ist Key Account Manager für die Region Asien-Pazifik bei AMR Advanced Market Research. Er lehrte internationale Forschung an Universitäten auf der ganzen Welt: Indien, Argentinien, Südafrika und Deutschland. Heute sprechen wir mit ihm über den Wert moderner Marktforschung in einer sich rasant verändernden Gesellschaft und er verrät uns, warum eine antik anmutende Technik dabei immer relevanter werden könnte.

Das Interview mit Dr. Satish Thalla

Herr Thalla, direkt zum Thema der Stunde, KI. Erst kürzlich wurde in einer Studie gezeigt, dass die KI ChatGPT vergleichbare Antworten liefern kann wie eine repräsentative Befragung von Menschen. Brauchen wir die klassische Marktforschung überhaupt noch?

Dr. Satish Thalla: Auf jeden Fall! Ich finde es bedenklich, dass eine Branche, die sich so zentral mit dem Menschen auseinandersetzt, direkt aufspringt, weil eine Computersoftware in manchen Gebieten ähnliche Antworten liefert. Der Computer kann den Menschen nicht ersetzen. Zwar können wir ihm Aufgaben geben, die uns zu lästig sind, aber wenn wir uns dem annähern wollen, was in den Köpfen der Menschen passiert, dann müssen wir auch mit den Menschen reden. Und das geht nun mal nur persönlich.

Und was sagen Sie zu den Ergebnissen der Studie?

Dr. Satish Thalla: Das, was in der genannten Studie erkannt wurde, ist lediglich eine Erscheinung von ChatGPT. Sein Erfahrungsschatz speist sich eben aus allen möglichen Texten aus dem Internet. So gesehen kann es manchmal einen Durchschnitt der Gesellschaft abbilden – andere Male aber wird es halluzinieren und für uns ohne Kontrollgruppe nicht überprüfbar Antworten ausdenken. Und selbst wenn es einen Durchschnitt trifft – dann welchen? Aktuell wohl einen westlichen.

Zudem wird es in Zukunft Probleme mit Rückkoppelungen von KI-generiertem Inhalt geben. In ein paar Jahren ist es gut möglich, dass wir einen Kipppunkt erreichen, in dem mehr Inhalt ins Internet geladen wird, der von oder zumindest in starker Zusammenarbeit mit KIs generiert wurde, als von Menschen. Und dann würden wir die KI im Grunde zu sich selbst befragen.

Übrigens: Aktuell verwenden manche Menschen ChatGPT bereits zur Auswertung von offenen Fragen, dabei ist dieses Large Language Modell gar nicht darauf trainiert. Es kann aktuell nicht einmal Wörter in einem Text korrekt zählen, geschweige denn Emotionen in offenen Antworten. Aber sicherlich werden wir noch KIs erleben, die genau darauf trainiert werden – das wird die Auswertung von Studien schon enorm beschleunigen. Aber so lange wir da nicht sind, vertrauen wir auf das persönliche Telefonat und die menschliche Analyse.

Aber ist das Telefon nicht ein alter Hut? Wie Floppy Disk oder Walkman?

Dr. Satish Thalla: Ja, das ist es. Das Telefon ist sogar älter als Floppy Disk und Walkman zusammen. Aber gerade deshalb ist es ja so bewährt: Auf der Welt gibt es mehr Mobilfunkverträge als Menschen. Selbst in Regionen, in denen das Internet staatlich stark reguliert wird, können Sie die Menschen in der Regel per Telefon erreichen. Zum Beispiel in Tunesien. Für globale Studien bleibt also das Telefon die erste Wahl – nicht KI.

Darüber hinaus bietet das Telefon qualitativ enorme Vorzüge auch gegenüber Online-Befragungen. Der Interviewer stellt sicher, dass die richtige Person die Fragen beantwortet, die Antworten sind konsistenter und bei offenen Fragen kann der Interviewer nachhaken, um noch mehr Informationen herauszuholen. Zudem ist die Wertschätzung des Befragten viel höher – das kann gerade bei Kundenzufriedenheitsbefragungen langfristig die Bindung der Kunden zum Unternehmen steigern.

Also: Das Telefon mag anachronistisch anmuten, aber gerade in einer Welt, in der alles zunehmend automatisiert und computergeneriert ist, wird das persönliche Gespräch immer wertvoller!

Wie sieht denn die Zukunft aus: Meinen Sie das Telefon wird weiterhin relevant bleiben?

Dr. Satish Thalla: Das ist nicht so einfach zu beantworten. Sicherlich wird sich das Telefon und seine Technik weiterentwickeln und verändern. Schon heute telefonieren Menschen, die iOS verwenden, genauso ›seemless‹ über W-LAN wie über Funk. Es ist gut möglich, dass Telefonmasten der Vergangenheit angehören und wir bald nur noch übers Internet Sprachanrufe tätigen. Aber das ändert nichts an dem Wert eines persönlichen Gespräches. Ob es nun über Funk, 5G oder im Metaverse stattfindet: Im Zentrum der Marktforschung steht der Mensch – und das wird auch so bleiben.

Alles wird also so bleiben, wie es ist?

Dr. Satish Thalla: Nein. Es ist schon fraglich, inwieweit es den menschlichen Interviewer in Zukunft noch geben wird. Denn da könnte KI tatsächlich fundamentale Veränderungen mit sich bringen: Menschen konzipieren eine Befragung. Die KI macht erste Vorschläge für einen Fragebogen. Menschliche Experten nehmen dies als Grundlage, optimieren und finalisieren den Fragebogen. Dieser geht dann wieder an die KI, die alle Menschen anruft und per Stimmengenerierung vollautomatisch mit den Menschen redet.

Ähnlich wie der menschliche Interviewer könnte die KI dabei Hilfestellung anbieten, auf Rückfragen reagieren und das Interview mit einem freundlichen Eindruck abschließen. Später würden die Gesprächsprotokolle von Menschen gesichtet und die Antworten auf Konsistenz kontrolliert.

Also eher eine Zusammenarbeit von KI und Mensch?

Dr. Satish Thalla: Anders ist es gar nicht möglich. Die KI will nichts. Sie hat keine Ambitionen. Input rein, Output raus. Dazwischen komplexe Wahrscheinlichkeitsrechnung. Aber der Mensch wird immer führen und kontrollieren müssen – das passiert auch bereits und das ist auch eine spannende Diskussion.

Was halten Sie von der Forderung die Forschung an KIs zu pausieren?

Dr. Satish Thalla: Ich bin nicht der Meinung, dass das viel nützt. Es werden sich ohnehin nicht alle Länder daran halten. Staatliche Institute, Geheimdienste etc. hätten dann einen Vorsprung gegenüber der Allgemeinheit. Die Debatte muss aber dennoch parallel geführt werden und auch ich glaube, dass der KI verbindliche Regeln gesetzt werden müssen.

Es bleibt also auf jeden Fall spannend, da sind wir uns einig! Bis hierher vielen Dank für das Gespräch, Herr Dr. Thalla.


Über AMR Advanced Market Research: AMR Advanced Market Research GmbH ist ein Marktforschungsunternehmen aus Düsseldorf. Unabhängig und Inhabergeführt forscht das Unternehmen seit 1981 weltweit. Dabei hat sich das Unternehmen auf CATI (Computer Assisted Telephone Interviewing) als Forschungsmethode spezialisiert und bietet gemeinsam mit der moweb research GmbH Mixed-Mode-Studien an, bei denen Telefon- und Online-Befragung kombiniert werden.